Vor kurzem sah ich ein YouTube-Video. Ein kleines Mädchen mit seinen Eltern in der U-Bahn. Es hangelt sich an den oberen Haltestreben wie ein Äffchen, nur an den Armen hängend, von einem Griff zum nächsten. Jeder neue und etwas unsichere Griff zur nächsten Strebe ist begleitet von ihrem angestrengten Appell an den Vater: „I need you!“/„Ich brauche Dich!“. Der Vater ist stets bereit, sie für den Fall des Falles aufzufangen. Kaum hängt sie wieder mit beiden Händen fest an der Stange, jauchzt sie: „I don’t need you!“/„Ich brauche Dich nicht!“. So geht es, bis sie ihre Mutter erreicht, die das Video mit dem Handy aufnimmt und sie freudig lobt.

Mich berührt diese kurze Szene, denn sie sagt viel darüber aus, wie wichtig eine sichere Bindung an die Eltern für die Entwicklung ist. Um autonom und selbstständig sein zu können, brauchen wir Vertrauen in haltgebende Beziehungen. Viele Menschen haben aus unterschiedlichsten Gründen keine sichere Bindung zu ihren Eltern bzw. zu ihren Kindern aufbauen können. Vielleicht haben Krankheit oder Not den Beziehungsaufbau erschwert und verhindert, das Kind auf seinem Weg ins Leben angemessen zu unterstützen.

Das ist traurig – und manchmal erschwert es Beziehungen oder das Arbeitsleben. Dies kann Krisen und mehr oder weniger großes Leid auslösen. Oft ist das genau der Punkt, an dem Menschen Hilfe oder eben auch Halt durch Beratung oder Seelsorge suchen. Wenn es dann gelingt, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, wird es möglich, versäumte Entwicklungsschritte nachzuholen und persönliches Wachstum zu fördern. Haltgebende und wohlwollende Menschen helfen uns dabei.

In diesem Sinne ist dieser kurze Text nicht nur ein Plädoyer für die Beratungsarbeit, sondern für Beziehungen im Allgemeinen. Lasst uns nicht vergessen: Wir brauchen einander!

Tanja Lindner, Psychologin (M.Sc.), ist psychologische Beraterin und Paartherapeutin in der Fachberatung im BSZ.

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